Der wahre "Hijacker" von Bitcoin?
Der frühe Bitcoin -Investor Roger Ver, der früher sogar als "Bitcoin Jesus" bekannt war, hat kürzlich mit seinem Buch “Hijacking Bitcoin” und einem Interview beim bekannten Fernsehmoderator und Podcaster Tucker Carlson für Aufsehen gesorgt. Ver behauptet, dass Geheimdienste wie die CIA Bitcoin "gehijacked" (also übernommen) hätten, um es von seiner ursprünglichen Funktion als "peer-to-peer cash" in ein spekulatives Asset zu verwandeln.
Vom Jesus zum Judas
Gleichzeitig inszeniert er sich selbst als Opfer einer politischen Verfolgung und behauptet, dass seine Verhaftung mit der Veröffentlichung seiner Kritik an Bitcoin zusammenhängt. Ver wurde kürzlich in Spanien verhaftet, weil die USA einen internationalen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt hatten. Ihm wird vorgeworfen, Steuern hinterzogen zu haben, obwohl er beteuert, kein US-Bürger mehr zu sein und daher keine Steuerpflicht in den USA zu haben. Tatsächlich ist die Verhaftung wohl vielmehr die Folge seines langjährigen Konflikts mit regulatorischen Behörden und weniger ein politisch motivierter Angriff. Sollte er aber tatsächlich wegen Steuerhinterziehung zu lebenslanger Haft verurteilt werden, wäre das aber definitiv ein Skandal – darum soll es in diesem Artikel jedoch nicht gehen. Sondern darum, warum er mit seinen Behauptungen zu Bitcoin weitestgehend Unrecht hat.
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich nämlich, dass Ver selbst in der Vergangenheit gescheitert ist, Bitcoin nach seiner eigenen Vision zu verändern, und dabei eine Spaltung der Community verursacht hat. Ver wurde damals für viele von einer zentralen Figur des Bitcoin-Kosmos zu einem der größten Antagonisten und vom “Bitcoin Jesus” zum “Bitcoin Judas”.
Ist er der wahre “Hijacker” von Bitcoin?
Die Blocksize-Wars
Einer der entscheidenden Wendepunkte in der Geschichte von Bitcoin und in der öffentlichen Wahrnehmung von Roger Ver war die Zeit zwischen 2015 und 2017, als die sogenannte Blockgrößen-Debatte die Bitcoin-Community spaltete. In dieser Phase wurde Bitcoin XT entwickelt, eine alternative Version der Bitcoin-Software, die von den Softwareentwicklern Mike Hearn und Gavin Andresen vorgestellt wurde. Ihr Ziel war es, die Blockgröße von 1 Megabyte auf 8 Megabyte zu erhöhen, um mehr Transaktionen pro Block zu ermöglichen und damit Bitcoin schneller und nutzerfreundlicher zu machen. Diese Idee traf jedoch auf erheblichen Widerstand, da viele in der Community darin eine Gefahr für die Dezentralisierung von Bitcoin sahen. Ein größerer Datenumfang würde nämlich langfristig dazu führen, dass nur noch wenige Betreiber mit leistungsstarker Hardware die Blockchain speichern und verwalten könnten. Außerdem würde durch diesen Ansatz das Problem der Skalierung auf Dauer auch nicht gelöst, und viele sahen die Idee deshalb als ungeeignet und nur maximal als kurzen Aufschub. Vielmehr sprach sich ein Großteil der Community für andere Skalierungsmethoden aus, die sogenannte "offchain"-Lösungen nutzen, wie sie heute etwa durch das Lightning-Netzwerk realisiert werden.
Roger Ver war einer der prominentesten Befürworter von Bitcoin XT und wurde zum Sprachrohr der sogenannten "Big Blocker"-Bewegung. Er argumentierte, dass die Begrenzung der Blockgröße Bitcoin daran hindere, als effizientes digitales Bargeld zu fungieren. Stattdessen, so Ver, führe sie zu hohen Transaktionsgebühren und langen Wartezeiten. Um seine Vision zu unterstützen, setzte Ver seine finanziellen Ressourcen und seinen Einfluss ein, unter anderem durch die aktive Förderung von Bitcoin XT auf seiner Plattform Bitcoin.com, einer der damlas bekanntesten Websites für Infos zu Bitcoin. Ver nutzte diese Seite gezielt, um Bitcoin XT und später Bitcoin Cash zu bewerben.
Jonathan Bier, der Autor von "The Blocksize War", beschreibt in seinem Buch, wie die "Big Blocker"-Fraktion teils kontroverse Methoden nutzte, um ihre Ziele durchzusetzen. Darunter fielen gezielte Informationskampagnen und die bewusste Spaltung der Community. Zugegebenermaßen bekleckerte sich aber auch die Seite der "Small-Blocker" nicht immer mit Ruhm. Insbesondere einzelne Akteure, die damals die Sprachrohre bitcointalk.org und das Subreddit r/bitcoin moderierten, löschten viele Posts, die nicht ihrer Meinung entsprachen. Dies wird bis heute oft von der Big-Blocker-Seite als Kritik angeführt.
Diese Konflikte zwischen Big- und Small-Blockern schwächten schließlich den internen Zusammenhalt der Bitcoin-Community und endeten letztlich in der Schaffung von Bitcoin Cash im Jahr 2017. Bitcoin Cash war eine Abspaltung, die von Ver als Umsetzung der ursprünglichen Idee von Bitcoin beworben wurde.
The Blocksize War
Eine umfassende Aufarbeitung der Bitcoin-Geschichte zwischen 2013 und 2017. Wer Bitcoin und die Debatte um die Erhöhung der Blockgröße genauer verstehen will, sollte dieses tolle Werk unbedingt lesen! Leider bisher nur in Englisch verfügbar.
Eine deutsche Version ist bereits in Arbeit und soll im Frühjahr 2025 erscheinen.
Die Rolle von Bitcoin Cash
Bitcoin Cash ( BCH ), das von Roger Ver lautstark unterstützt wurde, wurde als eine Abspaltung von Bitcoin geschaffen, die die ursprünglichen Ideale von Satoshi Nakamoto bewahren sollte. Ver behauptet, dass BCH die wahre Vision von Bitcoin als "peer-to-peer electronic cash" repräsentiert. Doch wie Bier in "The Blocksize War" analysiert, war die Schaffung von Bitcoin Cash weniger eine Rettungsaktion und mehr eine aggressive Abspaltung, die Ver als Hebel nutzte, um seine eigene Kontrolle über die Zukunft von Bitcoin zu festigen. Er selbst war es also der Bitcoin zu dieser Zeit übernehmen, beziehungsweiße “hijacken” wollte.
Ver, der bereits mehrfacher Millionär war, verwendete sein erhebliches Vermögen und seine Plattform, um Bitcoin Cash zu fördern, oft auf Kosten der Transparenz. Wie bereits weiter oben erwähnt, wurde die Website Bitcoin.com, die von Ver kontrolliert wird, benutzt, um Bitcoin Cash aggressiv als das "wahre" Bitcoin zu bewerben, was zu erheblicher Verwirrung bei Neulingen führte. Ein durchaus manipulativer Ansatz, der zu anhaltenden Spannungen innerhalb der Bitcoin-Community beitrug. Ver selbst versuchte dabei oft, die Verwirrung und diesen "Affinity Scam " (eine Strategie, bei der gezielt versucht wird, eine neue Marke oder ein Produkt durch enge Anlehnung an eine bekannte und erfolgreiche Marke populär zu machen) aufrechtzuerhalten.
Ein bekanntes Beispiel dafür ist sein legendäres Interview mit dem bekannten Entwickler John Carvalho, in dem dieser “Bitcoin Cash” der Einfachheit wegen als "Bcash" abkürzte. Ver reagierte darauf so verbissen, dass er Carvalho während des Interviews den Mittelfinger zeigte und das Gespräch abrupt abbrach.
Carvalho sprach Ver dabei direkt darauf an, dass dessen vehementes Beharren auf der Bezeichnung "Bitcoin Cash" nur dazu diene, die Fassade einer Assoziation mit Bitcoin aufrechtzuerhalten. Ver benahm sich daraufhin kindisch und erklärte, dass er Multimillionär sei und sich sowas von "Leuten im Internet" nicht gefallen lassen brauche. Schon damals war vielen klar, dass sein eigenes (mittlerweile gekränktes) Ego bei Ver oft im Vordergrund steht. Eine andere Person, die damals eng mit Ver zusammenarbeitete und ebenfalls Teil der Agenda war, Bitcoin-Blöcke zu vergrößern, war im Übrigen der verurteilte Betrüger Craig “Faketoshi” Wright .
Hat die CIA Bitcoin übernommen?
Roger Ver behauptete im Laufe der vergangenen Jahre und nun auch in seinem Buch und dem Interview mit Tucker Carlson, dass Geheimdienste wie die CIA Bitcoin "gehijacked" hätten. Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass die CIA und andere Geheimdienste schon früh Interesse an Bitcoin zeigten. Es ist bekannt, dass Vertreter dieser Organisationen Kontakt zu aktiven Bitcoin-Entwicklern aufnahmen, um das Potenzial der Technologie besser zu verstehen. Gavin Andresen war im Jahr 2011 im CIA-Hauptquartier , um eine Präsentation über Bitcoin zu halten.
Die Behauptung, dass von diesem Interesse ausgehend eine gezielte Manipulations- und Übernahmekampagne gestartet wurde, entbehrt jedoch jeglicher Beweise und Logik. Es ist schlichtweg unplausibel, warum die CIA oder andere Geheimdienste daran interessiert sein sollten, Bitcoin in das zu verwandeln, was es heute ist – ein dezentrales, weitgehend unabhängiges Netzwerk, das genau die Eigenschaften aufweist, die eine zentrale Kontrolle erschweren oder unmöglich machen. Dabei ist es auch völlig irrelevant, ob Bitcoin als P2P-Währung oder digitales Gold angesehen wird.
Aus dem anfänglichen Interesse eine Übernahmekampagne abzuleiten, bleibt eine reine Spekulation, für die Ver auch keine Beweise hat. Viele Kritiker tun ihn deshalb (zurecht?) als Wichtigtuer ab, der lediglich seiner eigenen gescheiterten Idee hinterhertrauert.
New York Agreement
Die Frage, ob Roger Ver ein Visionär oder ein Manipulator ist, wird durch die Bücher "The Blocksize War" und sein eigenes "Hijacking Bitcoin" natürlich auf unterschiedliche Weise beleuchtet. Während Ver sich selbst als Verfechter der ursprünglichen Bitcoin-Ideale darstellt, zeigt Bier, wie seine Aktionen die Community spalteten und den Fortschritt von Bitcoin behinderten.
Die von Ver propagierte Vision eines skalierbaren Bitcoin wurde von vielen als zu kurzsichtig kritisiert. Seine Unterstützung für große Blöcke ignorierte oft die technischen und sicherheitstechnischen Implikationen, die mit einer solchen Skalierung verbunden sind. Ver und andere "Big Blocker" versuchten in der Vergangenheit, durch finanzielle Macht und politische Manöver ihre Agenda durchzusetzen, und das ohne einen breiten Konsens innerhalb der Community zu suchen. Ein zentraler Punkt war hierbei das sogenannte "New York Agreement” , ein 2017 initiiertes Treffen zwischen Vertretern großer Unternehmen und Minern im Bitcoin-Ökosystem. Dieses Abkommen sollte einen Kompromiss schaffen, der sowohl die Blockgröße erhöht als auch das damals umstrittene SegWit-Update implementiert. Obwohl es als Konsenslösung präsentiert wurde, wurde das New York Agreement von vielen in der Community kritisiert, da es hinter verschlossenen Türen beschlossen wurde und die breitere Community kaum einbezog. Es war ein Versuch, Bitcoin zentral zu steuern, was dem dezentralen Ansatz von Bitcoin natürlich massiv widerspricht. Letztlich scheiterte das Abkommen daran, dass es nicht die notwendige Unterstützung innerhalb der Bitcoin-Entwickler- und Nutzerbasis fand, was die Spaltung weiter vertiefte.
Vers Vorwürfe könnten somit auch als die Worte eines Verlierers betrachtet werden, der auf die harte Tour erfahren musste, dass man ein dezentrales Netzwerk nicht gegen den breiten Konsens der Community nach eigenem Gutdünken verändern kann. Seine Aktionen, Behauptungen und auch sein Buch scheinen daher mehr Ausdruck eines gescheiterten Versuchs zu sein, die Richtung von Bitcoin zu diktieren, als eine fundierte Analyse der Geschehnisse. Besonders bemerkenswert ist, dass Ver stets betonte, ein Verfechter des freien Marktes zu sein und argumentierte, dass "der Markt entscheiden solle". Nun, Jahre später, nachdem sich der Markt jedoch klar gegen seine Ideen und für das heutige (und damalige) Bitcoin entschieden hat, bezeichnet er dieses Ergebnis plötzlich als falsch und manipuliert. Dies erklärte auch Adam Back, der Gründer und CEO von Blockstream und einer der ersten Menschen, der Kontakt zu Satoshi Nakamoto hatte. Bei 𝕏 schrieb er unter dem Video des Interviews zwischen Carlson und Ver:
[Ver] sagte, der Markt entscheide, und der Markt habe immer recht. Dann hat der Markt entschieden, und er schrieb ein Buch, in dem er behauptete, der Markt habe sich geirrt oder so ähnlich. Tucker Carlson, die Leute haben Mitleid mit Roger, weil er in Schwierigkeiten steckt, aber so ziemlich alles, was er in diesem Beitrag gesagt hat, war eine Lüge.
Adam Back, früher Bitcoiner & Gründer von Blockstream
Letztlich ist es Ver, der als der wahre „Hijacker” von Bitcoin betrachtet werden sollte. Seine Handlungen, insbesondere im Zusammenhang mit dem "New York Agreement" und “Bitcoin Cash”, sind ein Zeugnis seiner Ambitionen, Bitcoin nach seinen eigenen Vorstellungen zu formen. Ver bleibt eine polarisierende Figur in der Geschichte von Bitcoin. Seine frühen Beiträge zur Verbreitung von Bitcoin und seine Förderung sind unbestritten. Doch seine Rolle in der Debatte um die Blockgröße, die Schaffung von Bitcoin Cash, seine Lügen und sein Verhalten im Laufe der Zeit werfen dennoch ein kritisches Licht auf seine Methoden und Motive. Er war jedenfalls nicht der erste und wird vermutlich auch nicht der letzte Stern am Bitcoin-Himmel sein, der einst hell leuchtete, aber auch schnell verbrannte.
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